SPIEGEL ONLINE - 13. Mai 2007, 14:44
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http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,482639,00.html
KAMPF GEGEN ÜBERGEWICHT
Politiker wollen Naschsteuer
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Erst der Aktionsplan "Fit statt Fett", jetzt teurere Süßigkeiten: Gesundheitsexperten der Koalition haben höhere Steuern auf Gummibärchen, Chips und Schokolade vorgeschlagen. Der Hauptverband des Deutschen Einzelhandels bezeichnet die Pläne als aktionistisch und lehnt sie strikt ab.
Frankfurt/Main - Fachpolitiker von CDU und SPD wollen die Mehrwertsteuer auf zucker- und fettreiche Lebensmittel von 7 auf 19 Prozent erhöhen, berichtet die "Bild am Sonntag". Bislang gilt für die meisten Nahrungsmittel der ermäßigte Satz.
Die ernährungspolitische Sprecherin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Ursula Heinen, sagte dem Blatt: "Dass auf Naschzeug nur sieben Prozent Mehrwertsteuer erhoben werden, ist nicht nachvollziehbar." Die Liste der unterschiedlichen Steuersätze auf Lebensmittel müsse dringend komplett überarbeitet werden.
Ähnlich äußerte sich auch SPD-Gesundheitsexpertin Elvira Drobinski-Weiß: "Ein ungesundes Essverhalten sollte auch finanziell unattraktiver gestaltet werden. Deswegen sollte für Knabberzeug und Süßigkeiten die volle Mehrwertsteuer gelten."
"Fettreiche Produkte sind häufig billiger als fettarme und frische Lebensmittel", sagte Hans Hauner, Ernährungsmediziner der Technischen Universität München. Eine Verteuerung fettreicher Produkte könne "durchaus Teil eines Gesamtkonzeptes gegen Übergewicht sein". Zugleich warnte Hauner vor der Annahme, diese Maßnahme könne alleine einen Umschwung bewirken. "Mindestens genauso wichtig ist es, den Bewegungsmangel gerade bei Kindern endlich wirksam zu bekämpfen", sagte Hauner.
Beachvolleyball statt Schlagballwerfen
In der FDP-Opposition stoßen die Forderungen auf ein geteiltes Echo: "Es gibt keinen Grund, warum für Trüffel und Gänsestopfleber die Steuerermäßigung gilt, und für Mineralwasser nicht", zitiert das Blatt den ernährungspolitischen Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Michael Goldmann. Der haushaltspolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Jürgen Koppelin, übte hingegen Kritik an den Vorschlägen: "Typisch Koalition: zu jedem neuen Problem fallen den SPD- und Unionspolitikern nur neue Steuern ein."
Strikte Ablehnung äußerte dagegen der Hauptverband des Deutschen Einzelhandels (HDE): HDE-Sprecher Hubertus Pellengahr hält die Idee, zwischen guten und schlechten Lebensmitteln zu unterscheiden, für einen weiteren Versuch, bei den Bürgern abzukassieren. Er sagte: "Es sind die Lebensgewohnheiten, die sich ändern müssen. Wenn man maßvoll konsumiert, sind solche Lebensmittel nämlich nicht ungesund." Zudem sei die Mehrwertsteuer gerade erst erhöht worden.
Der Kampf gegen Fettleibigkeit muss nach Ansicht von Ärzteverbänden schon in der Schule beginnen: Sie wollen eine Rückkehr zu den früher üblichen flächendeckenden Pflichtuntersuchungen. Der Präsident der Bundesärztekammer, Jörg-Dietrich Hoppe, kündigte vor Beginn des Deutschen Ärztetages am kommenden Dienstag in der "Rheinischen Post" eine entsprechende Forderung an die Politik an. Auch der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte sprach sich für eine Wiedereinführung aus. "Kinder mit Übergewicht könnten so früher identifiziert und behandelt werden. Und zwar bevor es zu ernsten Gesundheitsproblemen kommt", sagte Verbandspräsident Andreas Köhler der "BamS". Zudem hätten immer mehr Kinder psychische Störungen, erklärte Hoppe mit Blick auf eine Studie, die auf dem Ärztetag vorgestellt werden soll.
Mehrheit ist gegen höhere Krankenkassenbeiträge für Dicke
Mit Blick auf den Sport an den Schulen schlug FDP-Generalsekretär Dirk Niebel vor, Trendsportarten wie Beach-Volleyball oder Inline-Skating in das Programm der Bundesjugendspiele aufzunehmen. Die Bundesjugendspiele müssten mehr die Freude und weniger die Punktetabellen in den Mittelpunkt stellen, sagte Niebel der "BamS". Er kenne niemanden, "der durch die Bundesjugendspiele seine Liebe zum Schlagballwerfen entdeckt hat".
In der vergangenen Woche hatte die Bundesregierung den Aktionsplan "Fit statt fett" vorgestellt. Mit dem Fünf-Punkte-Plan will die Regierung die Ernährung und das Bewegungsverhalten der Deutschen bis 2020 nachhaltig verbessern und vor allem den Trend zum Übergewicht bei Kindern stoppen. Eine "Naschsteuer" ist darin nicht vorgesehen. Nach Regierungsangaben sind in Deutschland derzeit rund 37 Millionen Erwachsene sowie zwei Millionen Kinder und Jugendliche übergewichtig.
Laut einer repräsentativen Forsa-Umfrage für die "Bild am Sonntag" sind nur 23 Prozent der Deutschen für höhere Krankenkassen-Beiträge von Übergewichtigen. 74 Prozent lehnen einen solchen Dicken-Malus demnach ab. 27 Prozent der befragten Männer sind für höhere Beiträge, jedoch nur 19 Prozent der Frauen.
anr/AFP/AP/ddp